Die Region hat innerhalb von 30 Jahren 120.000 Brutpaare verloren
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Amsel, Drossel, Fink und Star – am Bodensee wäre die Vogelschar aus dem bekannten Kinderlied heute viel kleiner als noch vor 40 Jahren: Lebten 1980 am Bodensee noch rund 465.000 Brutpaare, waren es 2012 nur noch 345.000 – ein Verlust von 25 %. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Wissenschaftlern der Ornithologischen Arbeitsgruppe Bodensee und des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie. Eine ähnliche Entwicklung befürchten die Forscher auch in anderen Regionen Deutschlands. Einst häufige Vogelarten wie Haussperling, Amsel oder Star sind besonders stark zurückgegangen. Viele weitere Arten kommen nur noch in geringen, oft nicht mehr überlebensfähigen Populationen und an immer weniger Orten rund um den Bodensee vor. Die Bestände des Haussperlings – 1980 noch die häufigste Art – sind zum Beispiel seither um 50 % eingebrochen. „Das sind wirklich erschütternde Zahlen – vor allem, wenn man bedenkt, dass der Rückgang der Vögel schon Jahrzehnte vor unserer ersten Datenerhebung 1980 begonnen hat“, erklärt Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie. Auf längere Zeit gesehen dürften die Bestandsverluste also noch wesentlich höher sein. Vogelfeindliche Agrarlandschaft Auffällig ist, wie unterschiedlich die verschiedenen Lebensräume betroffen sind. Der Studie zufolge gehen die Vögel rund um den Bodensee vor allem in Landschaften zurück, die vom Menschen intensiv genutzt werden. Dies betrifft vor allem die heutige Agrarlandschaft: 71 % der auf Wiesen und Feldern lebenden Arten verzeichnen zum Teil drastische Bestandseinbrüche. Das einstmals in der Agrarlandschaft häufige Rebhuhn zum Beispiel ist rund um den Bodensee inzwischen ausgestorben. Auch Raubwürger, Wiesenpieper und Steinkauz gibt es dort heute nicht mehr. Einer der Hauptgründe für diesen Rückgang ist der Verlust von Nahrung. So haben den Ornithologen zufolge am Bodensee 75 % der Fluginsekten-fressenden und 57 % der sich von Landwirbellosen ernährenden Vogelarten abgenommen. „Dies bestätigt, was wir schon länger vermutet haben: Das durch den Menschen verursachte Insektensterben wirkt sich massiv auf unsere Vögel aus“, sagt Bauer. Hinzu kommt, dass die heutigen effizienten Erntemethoden kaum mehr Sämereien für körnerfressende Arten übriglassen. Außerdem zerstören das frühe und häufige Abmähen großer Flächen, der Anbau von Monokulturen, der frühzeitige Aufwuchs des Wintergetreides, Entwässerungsmaßnahmen und das Fehlen ungenutzter Brachflächen vielen Arten des Offenlandes den Lebensraum. Aber nicht nur aus Wiesen und Feldern, auch aus den Dörfern und Städten rund um den Bodensee verschwinden die Vögel. „Ein gestiegenes Ordnungsbedürfnis und eine geringere Toleranz gegenüber Lärm und Schmutz macht den Vögeln zunehmend zu schaffen. Offensichtlich können die Tiere inmitten der Häuserschluchten, Zierbäume und sauberen Nutzgärten immer seltener erfolgreich brüten“, so Bauer. Selbst „Allerweltsvögel“ wie Amsel (minus 28 %), Buchfink und Rotkehlchen (jeweils minus 24 %) leiden massiv unter den sich verschlechternden Lebensbedingungen im Siedlungsbereich. Maßnahmen gegen Artenschwund Um den Verlust an Biodiversität aufzuhalten, fordern die Wissenschaftler ein Umdenken in der Landwirtschafts- und Forstpolitik. Maßnahmen, die Vögeln zugutekommen würden, sind unter anderem: · Drastische Beschränkung von Insekten- und Unkrautvernichtungsmitteln in der Land- und Forstwirtschaft, auf öffentlichen Flächen und in Privatgärten · Deutlich weniger Düngung · Umwandlung von mindestens 10 % der Landwirtschaftsfläche zu ökologischen Vorrangflächen · Auf Teilflächen unbearbeitete Äcker und Wiesen während der Brutzeit und im Winter · Spätes Mähen außerhalb der Brutzeit der Wiesenvögel und die Erhaltung von Blühstreifen und Brachflächen zur Samenproduktion · Mindestens 5 % der Waldfläche sollte völlig nutzungsfrei bleiben · Naturnahe Gärten mit einheimischen Pflanzen einrichten Max-Planck-Gesellschaft