Das Gehör ist der differenzierteste der fünf menschlichen Sinne und einer der sensibelsten. Weil sie uns vor Gefahren warnen sollen, sind unsere Ohren ständig auf Empfang. Alltagslärm wird deswegen schnell zur Belastungsprobe [1]. Weil er sich über das Zentralnervensystem und das Gehirn auf den gesamten Körper auswirkt, kann er im Übermaß sogar krank machen [2].
Am 27. April ist der Internationale Tag gegen Lärm. Aus diesem Anlass bieten wir Ihnen ein Interview mit einem Professor für Psychoakustik und 5 praktische Tipps, um sich bestmöglich gegen Lärm zu schützen!

Interview mit Herrn Professor André Fiebig, Gastprofessor für Psychoakustik an der Technischen Universität Berlin
Welche gesundheitlichen Risiken birgt Lärm und ab wann wird er gefährlich?
André Fiebig: Laute Geräusche gehören zum Alltag dazu. Zur Gefahr für die Gesundheit werden sie erst, wenn Menschen ihnen regelmäßig und über längere Zeit ausgesetzt sind. Generell unterscheidet man dabei zwischen den auralen und extra-auralen Lärmwirkungen. Beide beschreiben Erkrankungen wie Schwerhörigkeit oder Herz-Kreislauferkrankungen.
Was versteht man unter auraler beziehungsweise extra-auraler Lärmwirkung?
Fiebig: Aurale Lärmwirkungen beeinträchtigen unmittelbar die Funktion des Gehörs. Ein Beispiel hierfür ist Fabriklärm, der so laut ist, dass man sein Gegenüber im Gespräch kaum noch verstehen kann. Auf lange Sicht kann eine solche Belastung zum Beispiel zu Lärmschwerhörigkeit führen.
Extra-aurale Lärmwirkung meint gesundheitliche Beeinträchtigungen, die gar nichts mit dem Gehör zu tun haben. Wer beispielsweise neben einer lauten Straße wohnt und deswegen ständig einem Hintergrundgeräusch ausgesetzt ist, kann unter Stress leiden. Das kann sich ebenfalls negativ auf die Gesundheit auswirken. Das Risiko, beispielsweise an Bluthochdruck oder Depressionen zu erkranken, ist erhöht.
Geräusche sind Teil unseres Alltags: Welche Lärmquellen werden dabei aus Ihrer Sicht am häufigsten unterschätzt?
Fiebig: Tatsächlich gehört der Straßenverkehr zu den Lärmquellen, die immer noch tendenziell unterschätzt werden. Menschen, die beispielsweise an einer Straße wohnen, sagen nicht selten, dass sie sich an das permanente Geräusch gewöhnt haben. Sie empfinden es nicht mehr als störend. Negative Auswirkungen auf die Gesundheit kann der Lärm aber trotzdem haben. Auch der Lärm im Großraumbüro, in dem man konzentriert arbeiten muss, wird in seiner negativen Wirkung auf Leistung und Wohlbefinden oft unterschätzt.
Wie wirkt sich Lärm auf die Psyche aus?
Fiebig: Geräusche werden vom Gehör wahrgenommen und wirken sich über Gehirn und Zentralnervensystem auf den ganzen Körper aus. Wenn wir also ständig Lärm ausgesetzt sind, führt das zu Stress, auch wenn wir die Geräuschquelle nicht als besonders störend empfinden. Das kann dazu führen, dass wir gereizt, aggressiv oder unkonzentriert sind.
Tipps für den Alltag: Was sollte man tun, um sich vor Lärmbelastung zu schützen?
Fiebig: Ruhephasen sind für das Gehör wichtig! Das bedeutet ganz einfach darauf zu achten, dass man nicht ständig Geräuschen ausgesetzt ist und bewusst auch Zeit an akustisch angenehmen Orten verbringt. Da gibt es natürlich viele Möglichkeiten. Für den einen mag das der Wald oder der Stadtpark sein, für den anderen ein stilles Zimmer zuhause.
Viele Erwachsene haben oder hatten schon einmal einen Tinnitus: Lässt sich ihm vorbeugen, und wenn ja, wie?
Fiebig: Ein Tinnitus ist ein hochkomplexes Phänomen, das sehr viele verschiedene Ursachen haben kann. Stress zum Beispiel ist eine. Den Alltag zu entschleunigen und etwas gegen Stress zu tun, kann deswegen auch einem Tinnitus vorbeugen. Eine andere Ursache kann eine extreme akustische Belastung sein. Laute Feuerwerksexplosionen, nahe am Ohr zum Beispiel, können einen Tinnitus auslösen. Solche extremen Situationen sollte man vermeiden.
Was tun Sie persönlich, um sich vor Lärm zu schützen?
Fiebig: Bei meiner Arbeit an der Technischen Universität in Berlin bin ich Lärm glücklicherweise nur selten ausgesetzt, wenn es zum Beispiel mal Bauarbeiten gibt. In meiner Freizeit kommt es auf die Mischung an: Ich verbringe gerne Zeit an lebhaften Orten in der Stadt, wo es auch mal lauter zugeht. Dieses Vibrieren der Stadt ist eine akustische Umgebung, die ich persönlich sehr mag. Es ist mir aber auch wichtig, regelmäßig Ruhepausen zu haben. Dafür gehe ich gerne in die Natur. Neben Geräuschen wie Vogelgezwitscher, Bachplätschern und Blätterrauschen gibt es da nicht viel zu hören – zum lauten Stadtleben ist das ein guter Ausgleich.
Kurzvita
André Fiebig ist seit Januar 2019 Gastprofessor an der Technischen Universität Berlin. Am Institut für Strömungsmechanik und Technische Akustik ist er für das Fachgebiet „Psychoakustik“ verantwortlich. In diesem Zusammenhang forscht er unter anderem zu den Themen Lärmwirkungen, Geräuschbewertung und Soundscape. Letzteres ist das Klangprofil von Umgebungen wie Städten oder auch ländlichen Gebiete. Fiebig selbst lebt mit seiner Familie in einer ruhigen Gegend.
5 Praxis-Tipps gegen Lärm-Stress
Gönnen Sie sich eine Pause!
Anders als die Augen können wir unser Gehör nicht ohne Hilfsmittel verschließen und es ist rund um die Uhr auf Empfang. Ruhephasen sind deswegen unverzichtbar. Stellen Sie sicher, dass Sie regelmäßig Zeit in stillen Umgebungen verbringen, in denen sich Ihr Gehör entspannen kann. Das kann der Wald, das Wohnzimmer bei geschlossenen Fenstern oder ein Museum sein.
Atmen Sie tief durch!
Lärm-Stress ist Stress – und gegen Stress hilft es, den Fokus zurück auf das Wesentliche zu verlagern: Die eigene Atmung! In angespannten Situationen flacht die oft ab und wird zu schnell. Bewusstes Atmen hilft dagegen. Zum Beispiel mit der „4711-Methode“: Zählen Sie einfach beim Einatmen durch die Nase bis vier und beim Ausatmen bis sieben. Wiederholen Sie das ganze elf Mal [3].
Hören Sie zu!
Sicher wäre so mancher zwischendurch lieber am sanft rauschenden Meer als im Supermarkt-Getöse oder im Büro. Wieso holen Sie sich nicht einfach die passende Geräuschkulisse in den Alltag? Kopfhörer auf und los geht es in die akustischen Ferien mit Meeresrauschen oder Vogelgezwitscher. Natürlich nur in angemessener Lautstärke.
Seien Sie smart!
Smartphones ermöglichen das Musikhören rund um die Uhr und überall. Vermeiden Sie Lärm-Stress, indem Sie Ihre Lieblingslieder nicht zu laut hören und schützen Sie Ihr Gehör auch an anderer Stelle vor zu lauten Geräuschen aus nächster Nähe. Gefährlich laut können beispielsweise Feuerwerkskörper, Trillerpfeifen oder Spielzeugpistolen sein.
Wappnen Sie sich!
Plötzlich wird im Gebäude nebenan gebaut oder ins Zugabteil steigt eine Gruppe grölender Fußballfans ein: Im Alltag ist nicht immer absehbar, wann es laut wird. Ohrenstöpsel können da spontan für mehr Ruhe sorgen und so manchen Frust vermeiden. Sie sind zwar keine Dauerlösung, aber sicherlich ab und zu ein Retter in der Not.
Literatur:
- Hören: https://www.planet-wissen.de/natur/sinne/hoeren/index.html (aufgerufen am 19.4.2022)
- „Lärm-Stress“ am Arbeitsplatz: https://www.dguv.de/medien/fb-holzundmetall/publikationen-dokumente/infoblaetter/infobl_deutsch/018_laermstressamarbeitsplatz.pdf
- Richtig atmen: Atemübungen für mehr Ruhe und Entspannung: https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/stress/richtig-atmen-atemuebungen-fuer-mehr-ruhe-und-entspannung/ (aufgerufen am 19.4.2022)
Quelle: Dr. Willmar Schwabe GmbH & Co. KG
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