Je nach Schätzung gibt es in Deutschland zwischen 320 000 und 470 000 Menschen, die mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) leben. Zu den häufigsten und bekanntesten CED zählen Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) e.V. möchte auf eine besondere Herausforderung aufmerksam machen, mit der viele Erkrankte konfrontiert sind: Den (unerfüllten) Kinderwunsch.

Jede chronische Erkrankung nimmt einen großen Teil des Lebens der Betroffenen in Anspruch. Vor allem in Schüben verlaufende Krankheiten wie die CED sind scheinbar unberechenbar, entziehen sich der Planung und verunsichern die Patientinnen und Patienten zusätzlich. Eine CED wird bei den meisten Betroffenen zwischen dem 15. und dem 35. Lebensjahr diagnostiziert – in einer Lebensphase also, in der oft zunächst noch die Lebensplanung ansteht, in der sich aber früher oder später auch Fragen zu Familienplanung und Kinderwunsch stellen. „Viele Menschen mit CED bleiben gewollt kinderlos, da sie Angst haben, die Krankheit zu vererben. Auch die Angst, dass die eingenommenen Medikamente dem ungeborenen Leben schaden könnten, ist groß“, erklärt Dr. med. Elena Sonnenberg, Gastroenterologin und Leiterin der CED-Ambulanz am Campus Benjamin-Franklin an der Charité Berlin. Schuld daran sei allerdings meist eine unzureichende Aufklärung durch die Behandelnden.
„Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellt sich vielen Paaren.“
Betroffenen, die an einer CED erkrankt sind und einen Kinderwunsch haben, rät die Gastroenterologin, das Gespräch mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten zu suchen: „Die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt stellt sich vielen Paaren. Menschen mit einer CED stellt sie sich aber nicht nur in Bezug auf ihre Lebensplanung, sondern vor allem in Bezug auf ihre Krankheit.“ Viele der damit verbundenen Ängste seien jedoch unbegründet, beruhigt sie. Denn in Phasen der Remission, also bei geringer Krankheitsaktivität, seien die Aussichten auf eine Erfüllung des Kinderwunsches in der Regel genauso groß wie bei Gesunden; dies gelte für Männer wie für Frauen gleichermaßen. Allerdings hätten die Betroffenen häufig auch mit sexuellen Funktionsstörungen und einer eingeschränkten Libido zu kämpfen, die die Erfüllung des Kinderwunsches erschweren könnten. Bei Frauen kann die Fruchtbarkeit auch dann beeinträchtigt sein, wenn ausgedehnte Operationen im kleinen Becken vorangegangen sind. Prinzipiell ist eine Schwangerschaft aber sowohl mit Stoma als auch nach Pouchanlage möglich.
Schwangere CED-Patientinnen: Intensivere Betreuung wird empfohlen
Naturgemäß haben Fragen zur medikamentösen Behandlung der CED für Frauen mit Kinderwunsch eine wesentlich größere Bedeutung als für erkrankte Männer. „Mit Ausnahme von Methotrexat, Ozanimod und den JAK-Inhibitoren kann und sollte die Medikation jedoch auch während der Schwangerschaft fortgeführt werden“, betont Sonnenberg. Denn ein Schub der Erkrankung stelle ein größeres Risiko für das ungeborene Kind dar als die Medikamente, mit denen die CED in Schach gehalten werde. Aus diesem Grund rät die Expertin auch zu einer engmaschigen Betreuung schwangerer CED-Patientinnen durch ihren Gastroenterologen. So könne ein Aufflammen der Erkrankung frühzeitig erkannt und behandelt werden. Wie gesunde Frauen auch, sollten CED-Patientinnen bereits bei Kinderwunsch mit der Einnahme von Folsäure beginnen. Während der Schwangerschaft sollte dann zusätzlich auch Jod eingenommen und auf eine ausgewogene Ernährung geachtet werden.
Vaginale Entbindung auch bei CED möglich
Auch in Bezug auf die Entbindung gibt es für die meisten CED-Patientinnen keine Einschränkungen. „Von einer vaginalen Entbindung wird heute nur noch dann abgeraten, wenn ein aktives Analfistelleiden besteht“, sagt Sonnenberg. Selbst bei Patientinnen mit einer ileoanalen Pouchanlage, für die bislang immer ein Kaiserschnitt empfohlen wurde, sei eine vaginale Entbindung nicht mehr ausgeschlossen. Generell sollte die Entscheidung über den Geburtsmodus jedoch gemeinsam mit den behandelnden Geburtshelfern getroffen werden.
CED keine größere Hürde bei der Familienplanung
Wenn die Besonderheiten einer CED bei der Familienplanung berücksichtigt werden, stellt die Erkrankung heute also keine größere Hürde auf dem Weg zum Wunschkind mehr dar. „CED lassen sich heute gut behandeln und die Krankheitsaktivität so gut kontrollieren, dass das Risiko für das ungeborene Kind sehr gering gehalten werden kann“, sagt Professor Dr. med. Heiner Wedemeyer, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover und Vorstandsmitglied der DGVS. Voraussetzung hierfür sei allerdings, dass die Schwangerschaft sorgfältig geplant, der behandelnde Gastroenterologe frühzeitig über den Kinderwunsch informiert und die Medikation entsprechend angepasst werde. „Dann ist eine Schwangerschaft ohne wesentliche Einschränkungen möglich.“
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) e.V.