Antibiotika-Resistenzen nehmen weltweit zu und sind eine der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit dieser Zeit. Um dem Problem entgegenzuwirken, hilft es, unnötige Antibiotika-Verschreibungen zu vermeiden. Eine aktuelle Studie zeigt jetzt für Deutschland erstmals auf, welche Regionen dabei besonders im Fokus stehen sollten.

Je weiter westlich ein Landkreis in Deutschland liegt, desto mehr Antibiotika werden dort verschrieben. Das ist eine der Erkenntnisse einer Studie vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS und der Universität Bremen. Die Ergebnisse sind kürzlich im Fachmagazin Antibiotics erschienen. Um zu dem Ergebnis zu kommen, haben die Wissenschaftler mithilfe der pharmakoepidemiologischen Forschungsdatenbank GePaRD die alters- und geschlechtsstandardisierten Verordnungsraten von Antibiotika ermittelt. Diese Verordnungsraten haben sie insgesamt und auf der Ebene der 401 Landkreise bzw. kreisfreien Städte für die Kalenderjahre 2010 und 2018 berechnet. GePaRD enthält pseudonymisierte Abrechnungsdaten von vier deutschen Krankenkassen und umfasst Informationen von rund 25 Millionen Personen.
Verantwortungsvoller Einsatz von Antibiotika gefordert
„Eine umfassende kleinräumige Beschreibung der regionalen Unterschiede in der Antibiotika-Verschreibung in Deutschland fehlte bisher. Eine solche Beschreibung kann wichtige Hinweise liefern, wo hinsichtlich Antibiotic Stewardship noch Verbesserungsbedarf besteht“, erklärt Studienerstautor Dr. Oliver Scholle die Motivation hinter der Studie. Unter Antibiotic Stewardship versteht man den verantwortungsvollen Einsatz von Antibiotika — etwa durch den Nachweis einer bakteriellen Infektion, die Wahl des geeigneten Antibiotikums oder Anpassung der Therapiedauer. Er fügt an: „Wir fanden heraus, dass trotz eines allgemeinen Rückgangs der ambulanten Antibiotika-Verschreibungen zwischen 2010 und 2018 nach wie vor große Unterschiede zwischen den Kreisen zu beobachten sind, und das gilt für alle Altersgruppen.“
Antibiotika-Verordnungsrate schwankt je nach Landkreis
Bei Kindern und Jugendlichen (0–17 Jahre) schwankte die Antibiotika-Verordnungsrate im Jahr 2018 je nach Kreis zwischen 200 und bis zu mehr als 700 Verordnungen pro 1000 Personen pro Jahr. Das heißt, sie war in einigen Kreisen bis zu viermal höher als in anderen. Bei Erwachsenen (≥18 Jahre) schwankte die Antibiotika-Verordnungsrate im Jahr 2018 je nach Kreis zwischen 300 und fast 700 Verordnungen pro 1000 Personen pro Jahr. Sie war also in einigen Kreisen doppelt so hoch wie in anderen. In Westdeutschland waren die Verordnungsraten tendenziell höher als in Ostdeutschland. In allen Altersgruppen wurden die höchsten Verordnungsraten in der Nähe der westlichen Grenze Deutschlands gefunden.
„Es ist schon mal positiv, dass die Antibiotika-Verordnungen in Deutschland insgesamt einen rückläufigen Trend aufweisen. Die Ergebnisse unserer Studie zeigen aber auch klar, wo noch Verbesserungsbedarf besteht, das heißt, wo zielgerichtete Maßnahmen sinnvoll wären“, resümiert Prof. Dr. Ulrike Haug, Letztautorin der Studie und Leiterin der Abteilung Klinische Epidemiologie des BIPS. Sie ergänzt: „Ein weiteres Monitoring ist wichtig, auch was die Art der verschriebenen Antibiotika betrifft. Hierfür stellen kontinuierliche kleinräumige Analysen basierend auf Kassendaten — wie in dieser Studie — ein wertvolles Instrument dar.“
Der Hintergrund
Die Studie zur Analyse der regionalen Unterschiede bei der Antibiotika-Verordnung (SARA) wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in Auftrag gegeben. Das Ziel von SARA ist im ersten Schritt die Beschreibung der regionalen Unterschiede und der Unterschiede zwischen den Altersgruppen in den Antibiotika-Verordnungen in Deutschland. In einem zweiten Schritt sollen die zugrunde liegenden Ursachen für die identifizierten Unterschiede in den Verordnungshäufigkeiten von Antibiotika evaluiert werden.
Originalpublikation:
Scholle O et al. Regional Variations in Outpatient Antibiotic Prescribing in Germany: A Small Area Analysis Based on Claims Data. Antibiotics 2022; 11(7): 836. https://doi.org/10.3390/antibiotics11070836
Quelle: Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie – BIPS