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Wissenschaftliche Annahmen, wonach Babys bereits im Mutterleib lebende Bakterien beherbergen, sind unzutreffend – dies belegt ein internationales Forscherteam. Die Studie erscheint in der renommierten Fachzeitschrift Nature. Einstimmig widerlegen die insgesamt 46 Experten darin die Existenz eines „fetalen Mikrobioms“ und klären damit eine wissenschaftliche Kontroverse, die weitreichenden Einfluss auf die klinische Medizin hat.

Fetus
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Die Annahme, dass die Gebärmutter eine sterile Umgebung ist und Babys entsprechend erst nach der Geburt ein Mikrobiom, d.h. eine Gemeinschaft von Darmbakterien und anderen Mikroorganismen, entwickeln, gehört zu den etablierten Grundsätzen der Immunologie und Reproduktionsbiologie. Mehrere nach 2010 veröffentlichte Studien stellten diesen Grundsatz in Frage: Sie konnten Bakterien in Proben der Plazenta und des Fruchtwassers nachweisen. Ein interdisziplinäres Team führender Experten aus der Reproduktionsbiologie, der Mikrobiomforschung und der Immunologie nahm diese kontrovers diskutierten Studien genau in den Blick und überprüfte die Analysen.

Mikrobiom-Proben kontrovers diskutierter Studien kontaminiert

Die Experten kamen einstimmig zu dem Schluss, dass der Nachweis von Mikrobiomen in fetalem Gewebe, d.h. im Gewebe eines ungeborenen Babys, auf eine Verunreinigung (Kontamination) von Proben aus dem Mutterleib zurückzuführen ist. „Die spezielle Problematik bei diesen Mikrobiomen besteht in den sehr kleinen Konzentrationen der anwesenden Bakterien. Daher müssen auch in Spuren vorhandene Spezies sicher erkannt und von Kontaminationen unterschieden werden“, erklärt Thomas Rattei, Leiter der Forschungsabteilung für computergestützte Systembiologie am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien. „Datenbanken und Methoden der Bioinformatik spielen in solchen Analysen eine besondere Rolle“, ergänzt er.

Für die nun veröffentlichte Studie evaluierte er Aussagen zur Datenanalyse und Bioinformatik. In Übereinstimmung mit seinen internationalen Kolleg*innen kommt er in der nun veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass es bei der vaginalen Entbindung, bei klinischen Verfahren oder bei der Laboranalyse zu einer Verunreinigung der Proben gekommen ist. Die Bakterien waren entsprechend nicht bereits vor der Geburt im Fruchtwasser und der Plazenta vorhanden.

Mikrobiom-Studie leistet Beitrag zur Qualität zukünftiger Forschung

„Die Frage, wann und wie sich das Mikrobiom des Menschen nach der Geburt entwickelt, hat einen bleibenden Einfluss auf das spätere Leben und die Gesundheit“, sagt Thomas Rattei. „Für ein gutes wissenschaftliches Verständnis müssen Studien in diesem Bereich international vergleichbar durchgeführt werden, und dazu trägt diese Publikation bei“, ergänzt er. Der Konsens der Expert*innen diene Forschenden in diesem Bereich als wichtige Orientierung, um ihre Forschungsanstrengungen dort zu konzentrieren, wo sie am effektivsten sind, betont Mikrobiomforscher und Studienleiter Jens Walter vom University College Cork (Irland). „Das Wissen, dass sich der Fötus in einer sterilen Umgebung befindet, bestätigt, dass die Besiedlung mit Bakterien während der Geburt und in der frühen postnatalen Phase stattfindet,“ fasst er zusammen.

Die Autoren des Nature-Beitrags ermutigen Forschende daher, ihre Studien auf das Mikrobiom von Müttern und ihren Neugeborenen sowie auf die mikrobiellen Stoffwechselprodukte zu konzentrieren, die die Plazenta passieren und den Fötus auf ein Leben in einer mikrobiellen Welt nach der Geburt vorbereiten. Sie geben in ihrem Beitrag zudem Hinweise darauf, wie Wissenschafter in Zukunft bei der Analyse von Geweben, in denen keine oder nur geringe Mengen an Mikroben zu erwarten sind, Kontaminationsfallen vermeiden können.

Originalpublikation: Kennedy KM et al. Questioning the fetal microbiome illustrates pitfalls of low-biomass microbial studies. Nature 2023; 613(7945): 639-649. DOI: 10.1038/s41586-022-05546-8

Quelle: Universität Wien